Montags morgens spüre ich noch im Halbschlaf ein leichtes Ziehen. Die Schwangerschaft ist bisher völlig problemlos verlaufen, ich genieße den Mutterschutz in vollen Zügen und bin so auch zwei Tage nach dem errechneten Termin noch völlig entspannt und kein bisschen ungeduldig.
Dieses erste Ziehen ist nicht sonderlich „aufdringlich“, und so schlafe ich immer wieder ein. Gegen viertel nach sechs platzt die Fruchtblase (denke ich zumindest), und jetzt bin ich mit einem Schlag hellwach. Doch sonst merke ich eigentlich noch nichts besonders Außergewöhnliches, sodass ich eigentlich nicht sofort meine Hebamme anrufen will. Also dusche ich erst mal, ziehe mich an… dann – so finde ich – habe ich lange genug gewartet und greife ich zum Telefon. Ulla (die zum Glück schon wach ist) lässt sich erstmal eine genaue „Lagebeschreibung“ geben und freut sich mit mir, dass es offensichtlich endlich los geht (wenn auch langsam) und will später vorbeikommen.
Gegen neun ist sie dann da, wir trinken erstmal Tee, dann untersucht sie mich… und macht die enttäuschende Mitteilung, dass die Fruchtblase doch noch nicht geplatzt sei. Was im Klartext heißt, dass es heute oder auch erst in 1 oder 2 Tagen so weit ist.
Zur Kontrolle vereinbaren wir für kurz darauf einen Termin in ihrer Praxis zum CTG, und obwohl das nur knapp zwei Stunden später ist, spüre ich bis dahin schon deutlichere Wehen – spürbar, jedoch noch nicht wirklich schmerzhaft. Das CTG bestätigt dies, alles sieht gut aus, und (was mich dann doch erleichtert): es scheint doch heute „los zu gehen“. Langsam zwar, aber immerhin muss ich mich jetzt – wo die ersten Anzeichen da sind – nicht noch ein oder zwei Tage gedulden.
Ich fahre zunächst also wieder nach Hause mit dem Auftrag anzurufen, wenn die Wehen schlimmer werden. „Du merkst dann schon, wann es soweit ist…“, sagt Ulla. Na super, damit kann ich ja gar nichts anfangen, denke ich noch….
Doch eine Stunde später und wieder zu Hause weiß ich genau, was sie meinte. Meinen Plan, auf dem Sofa noch bisschen vor mich hin zu dösen kann ich komplett vergessen. Wehen im Liegen gehen gar nicht, und so schnell wie die immer da sind komme ich vom Sofa auch nicht hoch.
Also rufe ich zum zweiten Mal an diesem Tag meine Hebamme an, beschreibe so gut es geht Häufigkeit und Dauer … und kurz darauf steht Ulla wieder in der Tür. Jetzt geht es doch schneller voran als es ursprünglich aussah, und nach ein paar immer schmerzhafteren Wehen irgendwo zwischen Flur, Küche und Sofa verfrachten mich Ulla und mein Mann ins Auto Richtung Geburtshaus. Ich bin völlig mit mir selbst und meinen Wehen beschäftigt und entsprechend froh, dass jemand anders das Denken übernommen hat – dennoch nehme ich am Rande eine gewisse Eile wahr, und auf dem Weg zur Autobahn gibt Ulla ganz schön Gas…
Im Geburtshaus sind wir schon angekündigt, und ein Familienzimmer ist für uns vorbereitet. Das Geburtshaus ist im Gebäude des Krankenhauses untergebracht, auf der Etage der Entbindungsstation. Und als wir aus dem Aufzug steigen sehe ich in einer Leseecke eine andere (Hoch-)Schwangere sitzen, die noch ziemlich entspannt aussieht. So „vor Ort abwarten“ muss ich offensichtlich nicht, denke ich noch….
Das Zimmer ist gemütlich, etwas abgedunkelt, violette Farben dominieren, ein Bad ist integriert, und es könnte auch ein normales Hotelzimmer sein. Ulla und Anna (eine Hebammenschülerin, die ich gerne dabei haben wollte), verstauen unsere Taschen und Jacken im Schrank und holen noch ein paar Utensilien.
Ich bemerke jetzt kaum noch Pausen zwischen den Wehen – entweder sind da wirklich keine, oder ich nehme sie einfach nicht mehr richtig wahr. Jedenfalls bin ich kaum noch in der Lage, mich alleine auszuziehen. Also nimmt Anna das in die Hand. Ob ich mal in die Wanne will, fragt Anna. (Oder war es Ulla?) Ich will aber nirgendwo mehr hin, und kann – ehrlich gesagt – auch nicht mehr wirklich klar denken. Also entscheiden die Mädels für mich und geben mir klare „Anweisungen“ – genau das, was ich in dem Moment brauche.
In den nächsten beiden Stunden werden die Wehen noch heftiger. Zunächst nutze ich noch den Geburtshocker, dann nur noch das Hängeseil (bzw. –tuch). Ich gehe mit jeder Wehe in die Knie, und in den kurzen Momenten dazwischen hilft mir mein Mann (der übrigens die ganze Zeit hinter mir steht und mich stützt) wieder hoch, zum Durchatmen. Ulla sitzt gelassen vor mir und hat alles im Griff, Anna misst regelmäßig die Herztöne, ansonsten gibt es kein medizinisches Gerät.
Vor uns auf dem Boden liegt die Uhr von Ulla, es ist 14 Uhr nochwas. Durchschnittlich dauert eine „erste“ Entbindung 12-13 Stunden, hieß es im Geburtsvorbereitungskurs, und ich versuche grob zu überschlagen, wie lange ich noch durchhalten muss… ewig, denke ich.
Doch dann ändert sich irgendwas, das sind wohl die Presswehen. Ich gebe mir also richtig Mühe und presse kräftig mit. Denke ich. „Du lässt zu viel Druck nach oben raus, so kommt das Kind da nicht raus“, höre ich Ulla jedoch sagen…. Aha. Also oben Luft anhalten und nach unten pressen – ihre klare Anweisung ist genau das, was ich brauche, und plötzlich geht’s.
Nur gute zwei Stunden nach unserer Ankunft im Geburtshaus sind ganz plötzlich alle Schmerzen weg – und vor uns liegt ein winzig kleiner Mensch mit ganz großen Augen und bewegt sich. Wir können es gar nicht fassen. Zuerst trauen wir uns gar nicht, unsere Tochter auf den Arm zu nehmen und streicheln sie nur ganz vorsichtig mit einem Finger. „Nimm sie ruhig hoch“. Und endlich trenne ich mich in dem gut geheizten Zimmer von meinem dicken Wollpulli und nehme meine kleine Tochter vorsichtig auf den Arm.
Ulla und mein Mann helfen mir aufs Bett, und dann haben wir drei erstmal eine Stunde ganz für uns. Irgendwann kommt mit wenigen leichten Wehen noch die Nachgeburt und Ulla macht ein, zwei Untersuchungen, Anna und mein Mann baden unser Baby zum ersten Mal. Nachdem ich mit etwas zu Essen versorgt worden bin, schaffe ich es endlich (im dritten Anlauf) und in Zeitlupe auch zur Dusche. Danach bin ich erstmal wieder völlig fertig, und die beiden Mädels kramen in meiner Tasche nach meinen Klamotten, fangen langsam mit den „Aufräumarbeiten“ an und bringen mit Rosmarin und schwarzem Tee meinen Kreislauf wieder ein kleines bisschen in Schwung.
Gegen sieben Uhr abends verlassen wir das Geburtshaus – gemeinsam mit unserer Tochter, die in dicken Sachen und Wintersack im Maxicosi liegt. „Wenn sie ein bisschen nach Luft schnappt ist das normal“, gibt Ulla uns noch mit auf den Weg. Und „bis morgen, ich komme morgen früh gleich bei Euch vorbei“.